Denkt Euch, ich war auf Zeche! Also nicht so mit Maloche, aber trotzdem in echt. Ganz unten. Ganz nah.

Ruhrgebiets-Buddies sind die Größten!

Mein Ruhrgebiets-Buddy und Blogger-Kumpel Michael hatte doch tatsächlich eine Grubenfahrt gewonnen! Und glücklicherweise hat er mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wolle. Ich bin ja gebürtiger Chemnitzer, somit als Randerzgebirgler in Bergwerksdingen nicht unerfahren. Aber eine Grubenfahrt in eine aktive Zeche, ne, sowas hatte ich noch nie mitgemacht. Tja, da hab ich mal ja gesagt, nöch?

An einem schönen Dezembermontag hat sich dann ein buntes Völkchen von Gewinnern an Schacht 8 der Zeche Auguste Victoria in Marl getroffen. Zehn Zugezogene und Einheimische, aus Wanne-Eickel, Bottrop, Köln, Krefeld, Mülheim an der Ruhr, ob Installateur, Programmierer, technische Zeichnerin oder Onlineshop-Projektmanager wie meinereiner hatten sich unter 3.500 Einsendungen zum Anlass der 2013er Ausgabe der Extraschicht und mit Verlosung durch die RAG Montan Immobilien dieses außergewöhnliche Event ergattern können.

Jetzt war ich ja ganz schlau und hab mir extra noch ein kleines Notizbuch besorgt. Es ist nämlich nicht erlaubt, elektrische Gerätschaften von der Armbanduhr bis zum Fotoapparat mit unter Tage zu nehmen. Die hiesige Steinkohle birgt Methan in sich, und das wollen wir ja nicht entzünden, gell? Und trotz dass ich das Notizbuch nachher am Spind liegenlassen habe, kann ich Euch so an einigen Infos teilhaben lassen.7-IMG_0598

Der begleitende Steiger, Peter Dithmer, hieß uns denn herzlich willkommen und beglückwünschte uns zur Grubenfahrt. Wie sich auch in den Gesprächen herausstellte, ist es nämlich extrem schwierig, überhaupt noch an so einem Event teilnehmen zu können. Es gibt ja auch nur noch zwei Zechen von ehemals über 1.000 im Ruhrgebiet (da erinnerten mal die Schachtzeichen dran!) – und selbst diese werden bis spätestens 2018 ihre Arbeit abschließen. Auguste Victoria (AV) selbst schließt bereits 2015 ihre Tore.

Von der kleinen Vorstellungsrunde aller Teilnehmer ist mir besonders das Paar in Erinnerung geblieben, das vom Schwiegervater die Grubenfahrt geschenkt bekam, weil er schon die Altersgrenze überschritt. Er hatte zwar gewonnen, aber die Grubenfahrten sind nur zwischen 18 und 60 Jahren erlaubt.

Die Präsentation: Zahlen, Wissenswertes, Zechenzukunft

Dann wurde uns ein kleiner Imagefilm zur Kohleförderung im Ruhrgebiet gezeigt und anschließend durch eine Präsentation zur Gewinnung von Steinkohle auf Zeche August Victoria ergänzt. In meinem schlauen Büchlein hatte ich mir notiert:

Es werden etwa mehretagige Förderkörbe für Kumpeltransporte benutzt. Die Maschinen zum Abbau benutzen Laser für die Steuerung ihrer Lage, und Scanner für die Positionierung innerhalb des Flözes. Pro Jahr werden 12km Strecke ausgebaut. Komplexe Zu- und Abluftsysteme sorgen für die Belüftung mit Frischluft, dabei entstehen schon mal 10t Luftdruck pro Wettertür.

Die RAG wurde als Ruhrkohle-AG 1969 gegründet, das Logo war früher wegen des engen Bezugs zur Chemie blau. Derzeit arbeiten noch 15.000 Bergleute für die RAG. Regelarbeitszeit sind eigentlich 55 Jahre – die aktuellen Schließpläne drücken das aber durch diverse Maßahmen auf 50 Jahre. Die Kumpel sind acht Stunden am Stück unten, später erfahren wir auch noch, dass es vier Schichten am Tag gibt, zumindest auf AV.

So ein Konzern wie die RAG hat nicht nur viel Land (12.000 Hektar!) zu bewirtschaften, sondern auch viele Töchter, wie die RAG Steinkohle, mit der wir einfahren. Aber auch Tochtergesellschaften wie die RAG Mining Solutions tragen zum Erfolg bei und verkaufen insbesondere gebrauchte Maschinen und Services wie Beratung äußerst erfolgreich insbesondere östlich von Deutschland. Die RAG Montan Immobilien kümmert sich um das “Danach” eines Bergwerks. 50 Hektar große Flächen sind keine Seltenheit, und mit dem Zauberwort „Revitalisierung“ ist es nicht getan. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass man sich sowohl mit der zukünftigen Nutzung der untertägigen Ressourcen – sowas wie Grubenwasser- oder Schachtwärme und unterirdische Pumpspeicherwerke kennt man vielleicht noch, sondern auch mit übertägigen Ressourcen beschäftigt. Hier fallen etwa Photovoltaik drunter, oberirdische Pumpspeicherwerke z.B. auf Halden, aber auch Biomasseproduktion. Pappeln für mehrere Jahre angepflanzt entgiften den Boden. Vieles ist hier auch noch in der Erforschung.

Gefördert werden 10 Mio. Tonnen Steinkohle pro Jahr – wow! – und da sind die nochmal 10 Mio. t Stein”abfall” (Abraum) und das Wasser noch nicht mitgerechnet. Der Abraum geht auf Halde, in den Straßenbau oder an den Rotterdamer Hafen zum Ausbau der Hafenfläche. Ironischerweise kommt genau da eine große Menge Importkohle an…

Auch Subventionen kamen zur Sprache, subventioniert wird aber wohl nur jede Tonne Kohle, die auch wirklich verkauf wird. Und so kommt es, dass Subventionen auch mal nicht abgerufen werden, was sich ebenfalls auf hübsche Sümmchen addiert.

Das Ende des Bergbaus wird auch zu indirekten Folgen führen, so werden z.B. für AV noch 2.000 Wäschebündel pro Woche gereinigt. Das Ruhrgebiet als ehemalige Auenlandschaft (erinnert mich an die Hobbits) hat durch den Abbau der Kohle gelitten. So liegen die Orte teilweise mehre zig Meter tiefer, und die Ewigkeitslasten haben sich ihren festen Platz bereits erobert: immerlaufende Pumpen und deren Betreuung binden mehrere hundert Mitarbeiter pro Jahr!
Schließlich gibt es noch einige Details zur AV: so ein Flöz auf AV ist ca. 2,22m durchschnittlich mächtig. Die Zeche hat fast 2.700 Mitarbeiter, davon ca. 300 Angestellte und an die 240 Azubis, die wegen der fehlenden Zukunft aber nicht übernommen werden können. Sicherheit spielt eine große Rolle, weniger als 3 Unfälle je 1 Mio Arbeitsstunden werden benannt. Das hört sich sehr wenig an. Wir bekommen auch noch eine kleine Sicherheitseinweisung für den FSR 990 Sauerstoffselbstretter, den jeder Bergmann immer betriebsbereit bei sich tragen muss. Das gilt auch für Zechentouris!

Für den folgenden Besuch werden wir auf Betriebsstätte 723 einfahren. Die „Teufe“ beträgt hier 1.098m, und wir werden auf der 6. Sohle ca. 3km Strecke zurücklegen.

Wir fahren ein!

Nun ist die Zeit doch schon fortgeschritten. Also flugs zum Umziehen – jedermann und jede Frau erhält ein komplettes Paket Baumwoll-Kleidung. Von der Jacke über Hemd und Hose bis zu Socken und Unterhose. In Feinripp. Der Gürtel passt dank vieler Löcher auch, die hilfreich herbeigeholte Lochzange braucht’s dann doch nicht. Dreieckstuch um den Hals nicht vergessen, nomma auf’s Klo!1-IMG_05742-IMG_05773-IMG_0579

Dann noch die Ausrüstung komplettieren: Sicherheitsschuhe und Schienbeinschoner, Schutzbrille, Helm und Grubenlampe. Ohrenstöpsel und Staubmaske. Haben wir alles? Dann kann’s ja losgehen!

Wir tippeln brav hinter dem Steiger her, das ganze Zeug ist schon ordentlich Gewicht. Da ist auch schon der Fahrkorb und alle rein. Türen zu und huiiiiii geht es abwärts! Bei der Seilfahrt nach oben hab ich mal gefragt: satte 43 Stundenkilometer machen wir!

Ziemlich schnell sind wir dann auch schon unten. Auf ca. 1.100 Meter Tiefe. Kann ich mir nur schwer vorstellen. Im Gänsemarsch bewegen wir uns vorwärts und dann dürfen wir in so ein hängendes Bähnchen einsteigen. Das ist eine Einschienenhängebahn und der geneigte Leser hat vielleicht schon einmal den Begriff „Dieselkatze“ gehört. Die Schienen hängen von der Decke, sind nur lose aneinander gekoppelt, und das rappelt in einem fort und macht einen Riesenlärm. Solcherart bewegen wir uns mal vor- und mal rückwärts, und tauchen immer tiefer in den Stollen ein. Mal rechts, mal links ist das endlose Transportband. Vorbei an zig Maschinen und Anlagen. Hier lasse ich mir später von unserem Steiger nochmal einiges erzählen: Wasserglasspeicher (ein Betonzugabemittel), Hochdruckanlagen für den Maschinenbetrieb, Luftkühlaggregate, Trafos und was weiß ich noch für technisches Gerät lassen wir hinter uns. So ein Versorgungsstollen wird noch vor dem ersten Flözabbau ein paar Jahre voran getrieben und hier beeindruckt mich als zahlentechnisch Versiertem die ungeheure Menge an Investitionen, die hier geflossen sein muss. Nicht nur die Maschinen sondern auch der eisenbewehrte Ausbau des Stollens muss Unsummen verschlingen, ganz zu schweigen vom Unterhalt der Anlage!
Mangels Uhr habe ich kein Gefühl für die Zeit. Irgendwann halten wir an und steigen eine ordentliche Anhöhe hinauf. Lampenakku und Atemmaske wiegen einiges, dazu die Schuhe und Schienbeinschoner. Wieder vorbei an allerlei Gerätschaften, Rohren, Kabeln, Ketten. Da, der Steiger richtet die Helmlampe nach rechts unten: ein Mäuschen! Mit einem gut handtellergroßen Stück Brot! Die Kumpel hier kümmern sich wohl gut um ihre Haustiere.

Und dann sind wir auf einmal am Flöz. Was jetzt kommt, damit habe ich nicht so recht gerechnet: wir kriechen an einer Menge Kabel, Eisen, Bewehrung vorbei und sind dann auf einmal direkt gegenüber von der Steinkohle. Schwarz und glänzend sehe ich die Wand vor mir, geschätzte drei bis vier Meter. Dazwischen hockt ein Ungetüm von Maschine. Und sie kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Tatsächlich habe ich so ein Teil schon mal im Bergbaumuseum Bochum gesehen: es ist ein Walzenschrämlader. Doch jetzt kommt’s: nach einem Warnton setzen sich diese zig Tonnen Technik in Bewegung. Unter einem Wasser-Luft-Nebel wird vor meinen Augen Steinkohle abgebaut. Einfach Wahnsinn: ich erlebe hier ein starkes Stück deutscher Wirtschaft, möglich gemacht mit internationalen Kumpeln, die wir immer wieder treffen und die natürlich auch hier über “ihre” Zechentouris wachen.

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1,5 Megawatt suchen sich ihren Weg vor und zurück, durch die 350 Millionen Jahre alte Steinkohle. Jetzt bin ich ja auch Ingenieur und das ist einfach nur beeindruckend. Wir dürfen hier wirklich lange zuschauen, mehrere Arbeitsgänge fräst sich das Technikwunder in die Kohle.

Der Weg zurück

Irgendwann müssen wir uns aber doch losreißen, es geht zurück. Noch einen schnellen Blick in einen Abzweig, der bereits abgearbeitet ist und freigeräumt in sich zusammensackt. Meine ich das nur oder hat es eben hörbar geknackt? Der Berg arbeitet.

Auf dem Weg zurück wird uns ein Becher Wasser gereicht und wir dürfen auch mal an der Kühlanlage den Finger dranhalten. Dann Einsteigen in die Dieselkatze und langsam tuckern wir zurück. Wieder bin ich beeindruckt vom Weg, den wir zurücklegen, vom Ausbau, vom schier endlos langen Förderband. Diesmal ist auch Abbaumaterial auf dem Förderband. Und da, was ist das? Ein Licht taucht auf dem Förderband auf, und da hängt ein Bergmann dran! Noch einer, und noch einer. Nach und nach kommen um die sieben, acht Bergleute auf dem Förderband liegend an uns vorbeigesaust. Und das ist tatsächlich auch der normale Weg für die meisten Mitarbeiter – die Dieselkatze ist nur für die Zechentouris!

Dann steigen wir auch schon wieder aus. Wir warten eine Weile in einem abgetrennten Bereich, einer Art Wand, die extra für die durchschwitzten Bergleute eingebaut wurde. So müssen sie nicht im kalten Wetter stehen, wenn sie auf die nächste Seilfahrt warten.

Wir steigen in den Förderkorb ein und hui geht es wieder aufwärts. Der Luftzug scheint es noch schneller als bei der Einfahrt zu machen.1-Gruppe nachher

Oben angekommen, entledigen wir uns nach und nach unseres Equipments. Jetzt warten tatsächlich noch leckere Brötchen auf uns. Die ein oder andere spannende Diskussion lässt das Event locker ausklingen. Wer weiß schon etwas über die hohen Kosten für die Denkmalerhaltung – alleine zehntausende Euro für einen denkmalgeeigneten Anstrich so eines Förderturms!

Wer mag kann sich noch den Kohlenstaub abduschen und dann heißt es Abschied nehmen. Fünfeinhalb Stunden sind vergangen, so hat es sich definitiv nicht angefühlt.6-IMG_0587
Verbleibt mir nur ein herzliches Dankeschön an Michael, die RAG Montan Immobilien, an die RAG Steinkohle, die Extraschicht und die Kumpel, die uns über und unter Tage begleitet haben. Wenn Ihr auch nur eine Chance auf so eine Grubenfahrt habt: unbedingt nutzen!

Glück auf!

Final möchte ich Euch das Lesen des Blogbeitrags zum identischen Event aus der Feder von Michael (unten rechts im Bild) ans Herz legen. Den werde ich jetzt erst einmal selbst noch Lesen, nachdem ich mir extra vorgenommen hatte, meinen Text vorher komplett und zu Ende zu schreiben. Und so sind beide Texte tatsächlich völlig unabhängig voneinander entstanden. Viel Spaß!1-Marx Giessner

Tausend Meter unter dem Ruhrgebiet
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