Digitale Guides machen Industriekultur noch erlebbarer! Genauer: die neue App “Perspektivwechsel – Ruhrgebietsgeschichte erleben” des Regionalverbands Ruhr unterstützt ab jetzt dabei, rund um die Uhr ausgewählte Strecken und Standorte im Ruhrgebiet auf eigene Faust zu entdecken. Das Besondere: Ihr werdet auf Wunsch begleitet von historischen Protagonisten, die Euch jeweils ihre ganz eigene Sicht und Eindrücke erzählen. Zum Start gibt es drei Erlebnisräume rund um das Muttental, Zeche Zollverein und die Erzbahntrasse, die nach Wahl entweder einzeln zu Fuß oder über durchgängige Strecken per Fahrrad erkundet werden wollen. Jeder Erlebnisraum spiegelt dabei eine eigene Epoche der Industriekultur wider.
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Offenlegung: der vorliegende Blogbeitrag entstand im Auftrag für die Ruhr Tourismus GmbH. Meinungen und Eindrücke bleiben die von Wahlheimat.Ruhr. Begleitet hat mich dieses Mal übrigens Seona, meine älteste Tochter. Ihre Meinungen und Eindrücke fließen daher ebenfalls mit ein!
tl;dr Wer nicht warten kann: die App findet Ihr hier für iOS und für Android, oder hier als mobile Browserversion (wo interessanterweise kein Link zur App enthalten ist). Review der App im zweiten Teil des Blogpostings!
Die Erlebnisräume im Perspektivwechsel
Neben dem Erlebnisraum Erzbahntrasse von Bochum nach Herten, der im Folgenden im Mittelpunkt steht, gibt es in der App auch den Erlebnisraum Muttental in Witten und den Erlebnisraum Zollverein rund um die gleichnamige Zeche in Essen. Für das Muttental lautet hierbei das zeitgeschichtliche Motto “Leben zwischen Feld und Flöz – der frühe Ruhrbergbau”. Ich wollte mir schon immer mal das Muttental und die dortigen bergbaugeschichtlichen Relikte genauer angucken – und so war ich neulich auch einmal kurz in der Gegend, um die Zeche Egbert mittels Kohle auf Papier zu bannen – aber der große Rest muss wohl erst einmal bis nächstes Jahr warten. In der App werden jedenfalls für diesen Erlebnisraum ca. 6,5km Strecke ausgewiesen, die jedoch nur zu Fuß begangen werden können.
Für Zeche Zollverein bietet die App hingegen Einblicke in “Arbeiten und Leben um die Zeche – neue Dimensionen auf Zollverein”. Auf Zollverein bin ich denn ob der geographischen Nähe zu Mülheim an der Ruhr auch immer mal wieder, z.B. mit dem Rad, oder auf den Spuren der Bauhaus-Geschichte in NRW, aber es lohnt sich sicher, hier auch nochmal mit der Perspektivwechsel-App reinzulünkern. Die Tour auf Zollverein wird mit ca. 7 Kilometer Strecke zu Fuß oder per Rad befahrbar angegeben.
Hier im Blogbeitrag geht es nun um den Erlebnisraum Erzbahntrasse, dazu heißt es in der App “Mensch und Maschine in Bewegung – rasante Veränderungen durch die Industrialisierung”. Genauer war ich unterwegs auf einer der drei ausgewiesenen Teilstrecken, und zwar dem rund um die Jahrhunderthalle Bochum, ca. 4km zu Fuß. Der gesamte Erlebnisraum Erzbahntrasse umfasst neben der Jahrhunderthalle noch Zeche Hannover in Bochum (Strecke ca. 3km) und Zeche Ewald in Herten (ca. 10km). Eindrücke zu Zeche Hannover und der Siedlung Am Rübenkamp sind nicht Teil dieses Beitrags, Ihr könnt jedoch bei meinem Bericht über die Bochumer Drehorte zu Sommerfest Eindrücke erhalten. Zeche Ewald wiederum war einmal Ausgangspunkt einer Tour zum Haldenglühen, dem Kirmes-Feuerwerk auf Crange – Fotos findet Ihr dort. Gut zu wissen: über die gesamte Strecke des Erlebnisraums Erzbahntrasse führt ein insgesamt gut 31km langer Weg, der wohl am Besten per Rad (prädestiniert natürlich für ein eBike) erfahren werden kann. Ich kenne allerdings auch Wanderer, die würden das ebenfalls problemlos schaffen…
Erlebnisraum Erzbahntrasse: rund um die Jahrhunderthalle Bochum
Auf der Teil-Tour “Route um die Jahrhunderthalle Bochum” finden sich nun acht Wegpunkte, die man allesamt in, ich würde mal sagen gut zwei bis zweieinhalb Stunden erlaufen kann. Für vier Kilometer braucht man natürlich nicht so lange, aber wer eben den Ausführungen in der App lauschen und vielleicht ein paar Fotos machen möchte, kommt schnell auf diese Zeit.
Insgesamt sind die Wegpunkte sehr gut ausgewählt, die Strecke muss auch wegen der räumlichen Nähe der Stationen nicht immer genau der vorgegebenen Route folgen. Und noch einmal der Hinweis: es handelt sich hier nur um ein Teilstück des deutlich größeren “Erlebnisraumes Erzbahntrasse”.
Die Jahrhunderthalle Bochum
Die Jahrhunderthalle ist Startpunkt, und warum sie so heißt, hört Ihr Euch am Besten selbst einmal in der App an. Überraschend, sage ich Euch!
Westpark/Bochumer Verein
Vom erhöhten Standpunkt im Westpark aus hat man einen tollen Blick zurück auf den Bochumer Verein, als die ehemaligen Anlagen des Guss-Stahlwerks, das hier einst die ganze Fläche belegte.
Erzbahntrasse
Die Erzbahntrasse sorgte einst für die Versorgung mit Eisenerz, vom Rhein-Herne-Kanal Gelsenkirchen bis nach Bochum. Jetzt verläuft auf und an Teilen der Strecke ein ganz wunderbarer Radweg, der hier am Westpark über die großartige Konstruktion der “Erzbahnschwinge” geführt wird.
Zur Erzbahntrasse bekam ich bereits via Twitter folgendes Feedback, das ich Euch nicht vorenthalten möchte:
Leider ist die Beschreibung der Erzbahntrasse in der App falsch – der Erzbahn verläuft von GE nach BO 🧐
— Nevs 🧜🏼♂️ (@Sven_bochum) September 30, 2019
Die Erzbahntrasse ist eine eher lockere Wanderstrecke und einmal “falsch” abgebogen, steht man auf einmal im Biergarten auf Zollverein :D
— hilfspirat (@hilfspirat) September 30, 2019
Hochplateau und Glockenturm
Über das Gelände führen Wege in unterschiedlichen Höhenniveaus. Vom Hochplateau aus hat man weitere spannende Perspektiven auf den Westpark und den Bochumer Verein – gerade jetzt im Herbst auch gemischt mit wunderbaren Farbspielen.
Wohnhaus Hübel
Nicht nur das Leben im Werk spielt eine Rolle in der App – sondern auch das Leben der Arbeiter, der leitenden Angestellten und ihrer Familien.
Siedlung Stahlhausen
Die Arbeiter und ihre Familien melden sich in “Perspektivwechsel” ebenfalls zu Wort – so wie die gut vierzehnjährige Anna Cron oder ihre Mutter Helene. Sie wohnten in der Siedlung Stahlhausen, einer Werkssiedlung für gut 2.000 Menschen.
Tor 1 Bochumer Verein
Auch auf dem Weg und erst durch die App “sichtbar” – läuft man doch sonst einfach dran vorbei – das Tor 1 des ehemaligen Bochumer Vereins. Tor 5 ist noch deutlich besser in Schuss.
Colosseum Bochum
Hinter Tor 5 geht man direkt auf das sogenannte Colosseum zu – die markanten Außenmauern der Ziegelstein-Konstruktion aus 2,8 Millionen einzelnen Steinen (!) führten zu dieser Bezeichnung.
Die App Perspektivwechsel
Abgesehen von den rein inhaltlichen Aspekten, die zu obigen Locations und Bildeindrücken führten: wie ist die App handwerklich gemacht? Getestet wurde die App in der iOS-Version, gemäß Angabe in der App Version 1.0.0, mit zwei verschiedene iPhone-Generationen.
Installation und Bedienung
Die Apps sind kostenfrei über die jeweiligen App-Stores erhältlich. Die Installation selbst geht problemlos, bei jedem Start der App werden offensichtlich einmal Daten nachgeladen, einem Ladebalken nach zu urteilen. Die App kann komplett auf Englisch umgeschaltet werden, eine tolle Möglichkeit für entsprechend darauf angewiesene oder interessierte Besucher. Grundsätzlich hat man damit die Möglichkeit, für spontane Besuche seinen kleinen Guide immer dabei zu haben. Ich werde zudem die App einmal meinen englischsprachigen Kollegen empfehlen.
Die einzelnen Routen bzw. Erlebnisräume haben eigene Startseiten. Leider fehlt eine Schnellnavigation, um dann auf die Unterrouten, z.B. die Route an der Jahrhunderthalle zu springen. Hier muss man oft lange scrollen.
Ab und an überlagern sich Inhalte, insbesondere ist dann das Schließen-Icon nur schwer zu treffen oder funktioniert gleich gar nicht mehr. Dann hilft nur noch ein Neustart der App. Ansonsten kommt man über “Zurück”-Buttons oder das “x” in der oberen Ecke meist wieder zurück. Gut ist die Möglichkeit, am oberen Bildschirmrand schnell zwischen verschiedenen Protagonisten, Kartenansicht oder Geschichte umschalten zu können.
Ab und an gibt es Nachladeprobleme, das war aber eher selten. Eine Navigationsoptimierung für die Audioabspiel-Lösung wäre wünschenswert (vor- und zurück, um bestimmte Passagen erneut hören zu können). Die Orientierung auf der recht groben Karte in der realen Umgebung anhand der meist nur historischen Aufnahmen fällt nicht immer leicht. Vielleicht gibt es in Zukunft eine Augmented-Reality-Erweiterung?
Fazit zur App und Optimierungsmöglichkeiten
Grundsätzlich arbeitet die App recht gut und bietet – vor allem als kostenfreier und auch auf Englisch einstellbarer Guide – neue Möglichkeiten, die Geschichte (gut) ausgewählter Standorte im Ruhrgebiet zu erfahren und mit der aktuellen Wahrnehmung von Bauwerken und Plätzen zu verknüpfen. Ein echter Mehrwert!
Aufmachung und Farbschema sind insgesamt gefällig. Ob die graphische Repräsentation der Charakter einfach nur markant sein soll oder sonstige Gründe für die aus meiner Sicht nicht so gelungene Darstellung führten, mich persönlich spricht das nicht so an. Für Seona war das jedoch kein Minuspunkt. Bisweilen würde es helfen, einen weiteren Kontrast zwischen den Texten der Protagonisten und den restlichen, ergänzenden Informationstexten und -bildern herzustellen.
Eindeutiger Schwachpunkt ist demnach die Textlastigkeit. Hier würden wir uns wünschen, auch eine “Kurzversion” ansteuern zu können. Für den eiligen Besucher sollten sowohl Texte als auch Audioeinspieler auf wenige Sätze reduziert werden. Nicht jeder wird minutenlang alle Passagen bis zum Ende verfolgen.
Das integrierte Kartenmaterial ermöglicht eine Navigation, die jedoch nachgebessert werden sollte. Mehrmals konnten wir nicht genau verorten, wohin wir gehen sollten oder was genau als vorzustellendes Objekt eigentlich gemeint ist. Gleiches gilt für die Navigation innerhalb der App, die durch lange Texte und teils riesige Bilder erschwert wird.
Einige Aspekte in der App sind sicher noch der frühen Version geschuldet: Routen sind einmal mit A, B und C bezeichnet – dies findet sich aber an keiner weiteren Stelle als Referenz wieder. Die einzelnen Standorte auf einer Route sollten durchnummeriert sein, und zwar in einem einheitlichen Format und auch auf der Karte, um der empfohlenen Reihenfolge besser folgen zu können. Nachlade- und die beobachteten Schließen-Probleme sind vermutlich in den nächsten Versionen nicht mehr vorhanden, ebenso einige nicht vollständig auf Englisch übersetzte Navigationspunkte.
Kurz: empfehlenswerte App mit Optimierungsmöglichkeiten! Download: hier entlang für iOS und Android
Meine Extra-Tipps
Natürlich habe ich wieder den einen oder anderen Extra-Tipp für Euch!
(1) Mittagessen im Pumpenhaus
Wer Hunger oder Durst verspürt, kann im Pumpenhaus einkehren. Snacks und Kuchen sollte es eigentlich immer geben, manchmal wird auch Mittagstisch angeboten. Die Currywurst ist lecker – sie läuft als Snack und kommt originell daher. Im Pumpenhaus gibt es auch einen Infopoint mit integriertem Shop – insbesondere die dort angebotenen Taschen und Hüllen aus recycelten Bannern sind eine Überlegung wert!
(2) Kunst auf dem Gelände
Rund um und im Westpark könnt Ihr jede Menge offizielle und inoffizielle Kunst entdecken – ob als Mural an der Hauswand, Graffiti auf den Anlagen oder Installationen an den Wegen und Gebäuden.
(3) Mit dem Rad von der Verleihstation starten
An der Jahrhunderthalle ist ein Fahrrad-Verleih. Wie wäre es, mit einem Fahrrad den ersten Teil der Erzbahntrasse in Angriff zu nehmen?
Pingback:Mit der App Perspektivwechsel auf Zollverein - Pottleben
In die App werde ich bei Gelegenheit auch mal reingucken (und wenn der Herbst regnerisch bleibt für 2020 einplanen). Die Erzbahntrasse kann ich übrigens empfehlen, ich bin die vor ein paar Jahren mal von BO bis kurz vor GE und zurück gefahren. Die teilweise Überlagerung in der App könnte auch der neuesten iOS Version geschuldet sein. Ich habe ähnliches in einer anderen App erlebt. Mit iPhone8 und iOS12.x merkwürdig, mit iPhone11 und iOS13.x gut.
LG Michael
Das mit dem Wetter… Gut ist ja, dass man mit der App auch mal spontan ein, zwei Orte ansteuern kann ohne gleich die ganze Tour machen zu müssen. Auf der Erzbahntrasse mal fahren sollte ich dann wohl mal in Angriff nehmen! Und das iOS-Thema können sich ja die Entwickler vornehmen… Lieben Dank für Dein Feedback!